Author/Authoress: | Seifert, Eduard |
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Title: | Begründung, Auftrag und Ziel der österreichischen Bildungswerke |
Year: | 1964 |
Source: | Alfred Brodil (Hrsg.), 10 Jahre Verband österreichischer Bildungswerke, Wien 1964, S. 59-70. |
Wir leben in einer Welt, die sich ungemein rasch fortschreitend verändert. Die Wissenschaften mit ihren immer genaueren und differenzierteren Forschungsmethoden haben Ergebnisse von staunenswerter Fruchtbarkeit gezeitigt. Die Technik, die sich auf Grund der gewaltigen naturwissenschaftlichen Fortschritte rapid entwickelt, hat mit ihren Mechanisierungs-, Industrialisierungs- und Automatisationstendenzen rasche Veränderungen der soziologischen und wirtschaftlichen Struktur verursacht:
Das Anwachsen der Industriemilieus, die zunehmende Urbanisation, die Landflucht, die Veränderung der Arbeits- und Freizeitverhältnisse.
Weiters den Ausbau der Verkehrswege auf dem Lande (Straßenbau), auf dem Meere (Schiffahrt) und - mit potenzierter Beschleunigung - in der Luft; die Ausbreitung der Massenkommunikationsmittel (Presse, Film, Radio, Fernsehen) und ihres Nachrichtenapparates.
Der Arbeiter ist zunehmend beweglicher geworden - indem er zwischen Wohnort und Arbeitsstätte, die häufig nicht mehr zusammenfallen, pendelt; indem er (bloß wechselnd oder sozial aufsteigend) einen Arbeitsplatz gegen einen anderen vertauscht: indem er durch Berufswechsel sich funktional anders in die Gesellschaft einfügt oder schließlich, indem er, einer neuen großen Migrationsbewegung folgend, seinen Arbeitsplatz im Ausland sucht. Auf dem Arbeitsmarkt treten neue Tendenzen auf, die nicht mehr so sehr durch eine quantitative, als vielmehr durch eine qualitative Evolution der Produktionswirtschaft und insbesondere durch ein Ansteigen der Dienstleistungswirtschaft gekennzeichnet sind1.
Betrachtet man die Gesamtentwicklung in der Welt, so ist ein enormer, zum Teil beängstigender Bevölkerungszuwachs zu beobachten, der durch das Phänomen des Hungers in der Welt - das durch die Weltorganisationen voll in das Weltbewußtsein gehoben wurde - noch verschärft wird.
Die Stellung der Frau in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft hat sich bedeutend verändert.
Die Lebenserwartung ist größer, die Struktur der Familie in gewisser Hinsicht eine andere geworden.
Auch die politischen Verhältnisse sind gewaltigen Veränderungen unterworfen:
Die politische Demokratisierung im Westen und in großen Bereichen des Ostens2, die Errichtung, Ausweitung und Festigung totalitär-diktatorischer Systeme im kommunistischen Osten; die Entkolonialisierung und das Entstehen neuer Nationalismen, die die Wohlfahrt ihrer Bürger als Hauptaufgabe sehen; die gegenseitige Berührung zwischen Entwicklungsländern und entwickelten Ländern und die Organisierung einer groß angelegten technischen Hilfeleistung an die in Entwicklung befindlichen Länder;
die Kontraste und Konflikte der ideologisch bestimmten Machtblöcke, die Furcht vor dem nuklearen Krieg, die Probleme der friedlichen Koexistenz, des kalten Krieges, die weltpolitischen Entspannungstendenzen und die trotz [S. 59] aller politischen Klüfte bestehende schicksalhafte, unteilbare Einheit der Menschen, das Problem der "One World";
die zunehmende Interdependenz souveräner Staaten, die auf die Idee eines föderativen Staatenbundes - insbesondere in Europa und in Afrika - hindrängen.
Die kulturelle Situation ist insbesondere charakterisiert durch eine auffallende Schwäche, einen Substanzverlust und zum Teil das Verschwinden traditioneller Kulturen, besonders in den Entwicklungsländern, in denen der Urbanismus und der Industrialismus plötzlich, schockartig, mit heftiger Vehemenz auftreten3. Unser Unterrichts- und Erziehungssystem hat sich weitgehend differenziert, unser Bildungssystem hat sich in eine éducation permanente ausgeweitet, wie dies auf den großen internationalen Erziehungskonferenzen der letzten Jahre wiederholt betont wurde4.
Die eminente Bedeutung der Erwachsenenbildung in unserer Zeit wird angesichts des Bildungswettlaufs zwischen der freien und der unfreien, kommunistischen Welt, angesichts der dem Westen im Rahmen demokratischer Staats- und Gesellschaftsgebilde erwachsenden Aufgaben, angesichts der vermehrten Freizeit und der dadurch entstehenden Probleme sichtbar; diese Bedeutung kommt ihr nicht zuletzt auf Grund des besonderen Akzentes zu, den sie auf die Erziehung zur Kritikfähigkeit legt.
Die Tatsache der gewaltigen Veränderungen und die daraus resultierenden Aufgaben der Erwachsenenbildung waren nicht von ungefähr Gegenstand der ersten größeren UNESCO-Konferenz für Erwachsenenbildung in Montreal (1960)5. Sie stand unter dem Thema "Erwachsenenbildung in einer sich wandelnden Welt". Auf dieser Konferenz wurde betont, daß die Welt sich zwar in einem ständigen Wandel befinde, "neu und ohne Beispiel sind jedoch Umfang und Schnelligkeit dieses Wandels heute". Angesichts der rapiden Veränderungen wird Erwachsenenbildung, wenn auch nicht überall in gleicher Weise und in gleichem Umfang, zur Notwendigkeit6. [S. 60] Der stärkste Strukturwandel, den die skizzierten Vorgänge hervorrufen, wird auf dem Lande sichtbar. Die Strukturen der alten Siedlungseinheiten des Weilers, des Dorfes, des Marktes, der Kleinstadt, verändern sich nach dem Maß der Veränderung ihrer sozialen Funktion. Die durch Technisierung, Industrialisierung und Verstädterung verursachte Berufswanderung ist an einem weitreichenden soziologischen Strukturwandel auf dem Land mitbeteiligt. Die verkehrsmäßige und durch die Mittel der Technik bewirkte Aufschließung auch entlegener Landgebiete hat auch einen Kulturwandel zur Folge. Eine gewisse Anfälligkeit, Nachahmungssucht und innere Unsicherheit ist in der Landbevölkerung ebenso bemerkbar wie in den Vulgusschichten primitiverer Regionen der Erde. Die Demokratisierung im politischen und sozialen Bereich verlangt auch die Demokratisierung des Wissens, der Bildung. So heißt es in den Empfehlungen der XII. Studientagung des Europarates in Straßburg:
"Die Verwirklichung der politischen Demokratie ... wird von der Entwicklung einer Demokratie des Wissens in der Richtung einer Bereicherung der Menschheit durch die Güter der Kultur bestimmt, mag es sich hiebei um noch lebendige traditionelle Werte oder um die Werte einer modernen Welt handeln, in der die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen neue Stellungnahme und fortwährende Anpassung verlangen."
Die Beziehung zwischen Leben und Beruf hat sich verändert: die schöne Einheit, die im verringerten bäuerlichen Lebenskreis, seltener in den Betrieben des Kleingewerbes, noch vorherrscht, ist weithin geschwunden. Daraus entstehen viele Fragen und eine Veränderung der Erziehungsmaßnahmen.
Der soziologische Zerfall, der die Verhältnisse zwischen den Bevölkerungsschichten der Siedlungen verändert, verlangt nach einem neuen schöpferischen Aufbau durch die gesellschaftliche Re-Integration des Dorfes, des Marktes, der Kleinstadt - ein Problem, dessen Bildungsaspekt bisher noch viel zu wenig gesehen wird.
Die Technisierung fordert neue Formen der Anpassung des Menschen, und der Mensch sucht nach Mitteln, sich gewisser Erscheinungen der Technisierung zu erwehren (z. B. der Rauch-, Lärm-, der Schnelligkeitsentwicklung im Gefolge der Technik); die Industriebetriebe wirken verseuchend auf unsere Gewässer und auf unsere Luft: das alles erfordert neue Maßnahmen, die auch bildungsmäßig vorbereitet werden müssen.
Der Verfall der alten Kulturen zwingt uns, zu resignieren oder zu ihren Wurzeln vorzustoßen. Ein Traditionalismus in der Erstarrung ist ebenso unfruchtbar wie ein Modernismus, der anfällig, unkritisch fügsam, haltlos sich preisgebend allen Erscheinungsformen unserer technisierten, aber auf dem Weg über unsere industriell-urban bestimmte Zivilisation von geistigen Mächten bestimmten Welt ist. So stellt das Gutachten des Deutschen Ausschusses in der Erörterung der Frage von "Anpassung" und "Widerstand" hinsichtlich der Überlieferung fest:
"Unsere Überlieferungen erschließen, bedeutet nicht ein geschichtswissenschaftliches Studium dessen, was gewesen ist, sondern ein Verständnis unserer selbst auf unsere eigene Zukunft hin, ein Verständnis sowohl der Kräfte [S. 61] und Motive in uns, die der einen Welt, ihrer Solidarität und ihrer Struktur zustimmen, als auch derer, die Widerstand gegen sie leisten wollen und sollen"7.
Der ideologische Konflikt, in dem wir auf weltweiter Ebene stehen, verlangt nach einer Klärung, Festigung unserer Wertvorstellungen und Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen, die sie bedrohen.
Der personale Aspekt in dieser Situation ist darin gegeben, daß allen modernen Erscheinungsformen, die vom Menschen bewirkt sind, der Mensch gegenübersteht. Fragen wir uns nun: haben diese gewaltig verändernden Einflüsse auf die Strukturen unseres Lebens, insbesondere in den ländlichen Gebieten, eine Kraft der Selbstverantwortung, der eigenständigen Formen und Gestaltung der eigenen Verhältnisse, der Anverwandlung dieser neuen Einflüsse in den eigenen Lebensraum hinein, bewirkt? Wir können diese Frage weder voll verneinen noch voll bejahen.
Ein Blick auf die baulichen Strukturen unserer stark anwachsenden ländlichen Siedlungen beweist uns, daß dort eine echte neue Ordnung ebenso wenig gelungen ist wie in unseren Städten und daß hier noch eine gewaltige Aufgabe auf uns wartet. So wurde auf der 11. Tiroler Dorftagung festgestellt:
"Die Richtungslosigkeit im Bauen und Gestalten unserer Landschaft, die immer wieder aufgezeigt wurde und uns so schmerzlich berührt, ist letzten Endes nichts anderes als das getreue Spiegelbild der zunächst einmal in Unordnung geratenen Gesellschafts- und Sozialordnung. Und diese kann wiederum nur in Ordnung gebracht werden, wenn der Mensch in sich selbst wieder Maß und Mitte und Selbstsicherheit findet"8.
Diese Aufgabe wird nicht bewältigt werden können ohne die Hilfe der Volksbildung, der Erwachsenenbildung.
Überlegen wir zunächst, was wir unter Bildung verstehen: das Herausbilden aller im Menschen angelegten Kräfte, um ihn fähig zu machen, seine menschliche Aufgabe zu verstehen und zu erfüllen. Bildung ist also nicht nur Wissen, sondern das Ausgebildet-Werden der drei Grundkräfte des Menschen: des Verstandes, des Willens und des Fühlens. So betont die Deklaration von Montreal:
"Der Mensch ist ein vielfältiges Wesen mit vielfältigen Bedürfnissen. Keines von ihnen darf einzeln gesehen werden, und in den Programmen der Erwachsenenbildung sollten sie sich in ihrer Vielfalt widerspiegeln. Die seelischen und geistigen Kräfte, die der Menschheit als dauernde Erbschaft mitgegeben sind, müssen uns stets in unserem täglichen Leben gegenwärtig sein. Sie zur vollen Reife und Entfaltung zu bringen, ist das Ziel der Erwachsenenbildung"9.
Es handelt sich aber auch nicht nur um ein Herausbilden der Kräfte des Menschen, damit er sich möglichst zweckmäßig und geschickt im Leben verhalte, damit er sich an sein Milieu schmiegsam anpasse und dadurch erfolgreich werde. Vielmehr geht es darum, ihn kraft seiner Vermögen und Fähigkeiten aus seiner personalen Mitte heraus als ganzen Menschen in eine aktive Beziehung zur Welt der Werte zu setzen.
"Der Begriff der Ganzheit degradiert nicht das Willensmäßige und Gemüthafte im Menschen, auch verhindert er ausdrücklich die Überbewertung des Denkens für sich genommen. (...) Denn ich kann gar nicht denken, ohne meine Willenskräfte anzuspannen: ich kann nicht bei der Sache sein, ohne mich ihr ganz hinzugeben, sei es, daß ich ihre Erhellung leidenschaftlich vorantreibe, [S. 62] sei es, daß ich ihr in bewußter Leidenschaftslosigkeit nachgehe. (...) Jene Bildung, die (...) wie Pestalozzi sagte, in allem Denken lieben und in aller Liebe denken' lehrt, will sagen, daß sittlich hochwertiges Verhalten seinsnotwendig denkerisch durchdrungen sein muß. .."10.
Der Sinn aller Bildung hängt davon ab, "daß sie den Bezug von Mensch und Welt um des Menschseins willen zu erhellen sich bemüht"11.
So kann Bildung "ganz allgemein als Beseelung der Begegnung eines leib-geistigen Wesens mit der Umwelt bezeichnet werden ... immer mit dem Ziele, eine lebendige Hingabe des Ich an die objektive Welt zu erreichen"12. Es genügt daher nicht eine entelechiale Entfaltung der seelischen Kräfte: sie müssen vielmehr in einer lebendigen Beziehung zu Werten ausgebildet werden, vor allem zu sittlichen Werten, die in einer einzigartigen Weise Wesen und Aufgabe des Menschen bestimmen. Diese Aufgabe findet nicht ihr Genüge in einer solipsistischen Selbstentfaltung; sie hat vielmehr einen sozialen Aspekt, der sich angesichts des derzeitigen Zustandes der Landgesellschaft auf bestimmte Ziele hin konzentrieren muß. Es geht um die Einsicht in die soziale Größe und Wirksamkeit jener einigenden Kraft, die aus einem gemeinsamen geistigen Vollzug, aus dem gemeinsamen Erfassen objektiver Gegebenheiten und ihrer Forderung erwächst. So sollte die Bildungsarbeit auf dem Lande darnach streben, "die natürlichen, organisch gewachsenen, wie auch die durch gemeinsame Interessen entstehenden Gemeinschaften des Volkes im gemeinschaftbildenden Erlebnis der Werte tiefer zu verwurzeln, die im Schatz volkhafter - aus dem Volke erwachsener oder in das Leben des Volkes eingedrungener - Kulturüberlieferung der Heimat und des Vaterlandes enthalten sind"13.
So ergibt sich als durch unsere Zeit gestellter gesellschaftlicher Aspekt der Bildungsarbeit die Re-Integration der kleinen Siedlungsgemeinschaften auf dem Lande (wir sprechen von Re-Integration, weil der soziologische Strukturwandel, der in heftigen, zum Teil abrupten Schüben und Stößen vor sich ging, die frühere Einheit des Dorfes, des Marktes etc. gesprengt hat14. [S. 63]
Das bedingt zunächst die Erkundung oder Erforschung der heute bestehenden soziologischen Strukturen15. Diese religiösen, kulturellen, politischen, familialen, standes- und altersmäßigen Gruppen, die neu zu strukturieren und neu zu formen, aus einem humanen Elan heraus zu integrieren sind, sollen zur bestmöglichen Entfaltung ihrer individuellen Glieder, aber auch ihres Gruppenlebens, und auf dem Wege über die Selbstvervollkommnung zu einer fruchtbaren gegenseitigen Ergänzung (Integration) mit anderen Gruppen zu echten Ortsgemeinschaften und landschaftlichen Verbänden gelangen16).
Dabei sind die verschiedenen Charaktere der verschiedenen Gruppenbeziehungen zu unterscheiden. Wir leben heute in einer Zeit des Pluralismus, in der es Gruppen gibt, deren Grundsätze und Interessen zum Teil übereinstimmen, zum Teil einander widerstreben und widerstreiten.
So etwa ist das Gemeinsame der religiösen Gruppen, der Konfessionen, der religiöse Glaube, der sich gegen den Atheismus wendet; in den christlichen Konfessionen ist es das christliche Bekenntnis, das gegen antichristliche Tendenzen steht; das Widerstreitende aber sind Unterschiede in formulierten Lehrmeinungen dogmatischen Gehalts.
Die politischen Gruppen sind die Parteien, denen ein gemeinsames Anliegen das Gemeinwohl sein sollte, die Staatsbejahung etc., während es auch widerstreitende Tendenzen gibt, die durch divergente Programmpunkte, durch die Eigengesetzlichkeit der gruppenmäßigen Machtambitionen etc. entstehen. Hier ist als Bildungsprinzip die Forderung anzusetzen, daß die Entfaltung der anderen Gruppe nicht nur geduldet, nicht nur toleriert, sondern gewünscht werden soll, sofern diese einen vernünftigen Beitrag zur Erzielung des gemeinsam Anerkannten und dadurch Verbindlichen leistet, nicht aber in bezug auf das, was an ihr angreifbar erscheint. Es gibt also sowohl eine gegenseitige Förderung und Unterstützung, als auch die Auseinandersetzung, den Widerstand, den Kampf. Trotzdem soll der Friede das gemeinsam bejahte und angestrebte Ziel sein. In einer für Österreich sehr bezeichnenden Weise hat Viktor v. Geramb, wie er 1946 schreibt, "als überzeugter Anhänger der `neuen Richtung' " (der Volksbildung) deren wichtigste Ziele "zu umschreiben versucht, vor allem aber jene Ziele (...) die dem großen Endzweck des sozialen Friedens dienen"17. Er ist nur erreichbar auf dem Weg der geistigen Austragung der Widersprüche und Konflikte, der geklärten Übereinstimmung in [S. 64] den Auffassungen um des Friedens willen, der ein konstitutives Element des Gemeinwohls ist.
Anders ist die Situation im Verhältnis der verschiedenen Standesgruppen. Hier spielen die Standesinteressen, und innerhalb der ständischen Gliederungen die sozialen Schichteninteressen (Klassen), die charakteristische Rolle. Die Schwierigkeiten und Konflikte in diesem Bereich sind primär nicht grundsätzlicher Natur, wie im politischen und religiösen, sie sind nicht primär rechtlich, sondern vom Eigennutz - der auch seine legitimen Seiten hat - bestimmt. Sie sind aber rechts-relevant, d. h. also auf Grundsätze beziehbar, deren Berücksichtigung allein den Ausgleich der Interessen verbürgt (die Frage des Anteils der Sozialpartner am Nationalprodukt z. B. ist eine derartige Frage). Das Gemeinsame dieser Gruppen liegt daher nicht auf der spezifischen Standesebene, sondern auf einer höheren Ebene: der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls. Die Gerechtigkeit gibt die Gesetze des Ausgleichs, das Gemeinwohl bestimmt seinen Rahmen. Aus Gerechtigkeit und Gemeinwohl erfließt die soziale Ergänzung dieser Gruppen.
Das Verhältnis der Altersgruppen, die auch eine große Rolle, besonders in den überschaubaren kleinen Siedlungsräumen, haben, ist wieder völlig anderer Natur. Es ist zunächst in der biologischen Natur des Menschen begründet und enthält an sich nur das Element der gegenseitigen Ergänzung, das sich in den Formen der Pflege, der Erziehung und Fürsorge in der Familie, in der Beratung und gegenseitigen Unterstützung äußert, sofern sie sich zwischen den Generationen verwirklichen. Widersprüche und Konflikte treten durch das Verhaftetsein der Zeit in ihren Strömungen, durch menschliche Gebrechen auf: durch Mißverstehen und Sich-mißverstanden-Fühlen, durch Mißtrauen, Eifersucht, Neid, durch ungeordnetes Besitzstreben, das sich dagegen wehrt, ihn zu übergeben, oder darauf drängt, ihn zu erhalten; durch ein nicht ernst und demütig In-Rechnung-Setzen der Lebensphase, in der man steht, etc.
Die Forderung einer Ergänzung und Integration setzt die Entfaltung der Teile der einzelnen Individuen und Gruppen voraus. Je voller und richtiger der Gruppenbeitrag ist, desto effektiver wird die Integration. Die sozialen Gruppen verhalten sich dann richtig, wenn sie weder sich konservativ behaupten, indem sie sich abschließen und dadurch reaktionär und steril werden, noch die Bemühung unterlassen, sich, falls sie Zugewanderte sind, in die Siedlungsgemeinschaft hineinzufinden. Die Re-Integration ist also eine neue soziale Aufgabe, die ein unkonventionelles Verhalten, Problemsichtigkeit, Problemfindigkeit und schöpferische Kraft verlangt, und die die Bejahung und Liebe jedes Menschen, der zur Siedlungsgemeinschaft gehört, erfordert.
Wir sehen, daß jede Bildung einen individuell personalen Aspekt hat - der dem Menschen als ens individuale entspricht - und einen gesellschaftlichen Aspekt, der ihm als ens sociale und ens sociabile zukommt, also einer auf menschliche Gemeinschaft angelegten und zu menschlicher Gemeinschaft befähigenden Disposition entspringt. Wiederholt wurde auf internationalen Konferenzen betont, daß die Erwachsenenbildung sowohl die Entfaltung des Individuums als auch die Bedürfnisse der Gemeinschaft ins Auge zu fassen habe, daß sie "zugleich den Erfordernissen des einzelnen und jenen der Gesellschaft Rechnung tragen" müsse18. Der Mensch ist immer in einer dialogischen Situation. Er steht immer anderen gegenüber, Gegenständen und Menschen19. Die Begegnung mit dem Nächsten, dem Nachbarn, dem Vorgesetzten, dem [S. 65] ehelichen und familialen Partner, dem Untergebenen, dem Kameraden, dem Kollegen ist ein Charakteristikum jeder menschlichen Situation.
Diese soziale Milieusituation, in der sich der Mensch befindet, bedarf, um als solche bewältigt zu werden, einer spezifischen Form der Bildungsarbeit, die vielleicht noch nicht gefunden worden ist. Sie braucht eine besondere Vorbereitung der Volksbildner und Jugendbildner und ist zu dem spezifischen Aufgabenbereich der Bildungswerke zu rechnen. Die Volkshochschule, die unter Anwendung einer systematischen Methodik Wissen vermittelt und darüber hinaus die Entwicklung des kritischen Denkens zum primären Ziel hat, wirkt vorbereitend auf das gesellschaftliche Leben. Sie bedarf aber der Ergänzung durch eine Bildungseinrichtung, die zunächst nicht ausgeht von den Interessen des einzelnen (die allgemeiner Natur sind, die eine wichtige Rolle für die persönliche Entfaltung des einzelnen spielen und seiner Weltorientierung dienen können); die vielmehr von einer Bildungsintention getragen ist, die auf die jeweils spezifische existentielle Situation des einzelnen eingeht. Die Bildungswerke orientieren ihre Arbeit also nicht nach dem Wissenstrieb des einzelnen an sich, sondern auf seine Konfrontation mit den Umständen, die ihn umgeben, mit den Zusammenhängen, die er vorfindet und die zur Bestimmung, Klärung und Wendung seiner mitmenschlichen Position notwendig sind. Ein Teil dieser Aufgabe ist durch eine Unterlage zur Europäischen Erwachsenenbildungskonferenz in Hamburg, 1962, gekennzeichnet:
"Angesichts der Interdependenz unserer Gesellschaft und der aus ihr resultierenden Gefahren und Erfordernissen für das Funktionieren des Sozialgefüges stellt sich der Erwachsenenbildung die Aufgabe, die Umwelt in ihrer Komplexität verständlich zu machen"20.
Diese Art von Bildungstätigkeit bedarf einer besonderen Weise, die Bildungskräfte zusammenzufassen. Man hat heute noch nicht genügend erfaßt, was in dieser Dimension der Bildungsarbeit nötig wäre. Die geschilderten Einstellungen, die die Entfaltung der Individuen und Gruppen und ihre integrative Korrelation im Auge haben, erhalten neue Motive zur Erfassung der menschlichen Kräfte und ihrer selbstlosen Zusammenarbeit. Diese Arbeit wird also von Notwendigkeiten bestimmt, die aus der gesellschaftlichen Situation erfließen und nicht aus Interessen, wenn auch die Interessen und Fähigkeiten der einzelnen berücksichtigt werden müssen, um die Art ihrer Mitarbeit bestimmen zu können.
Die erste Frage muß also auf die Feststellung der Gruppen gerichtet sein, die als repräsentativ für das Gemeindevolk anzusehen sind und auf die Feststellung der Einzelpersönlichkeiten, die als repräsentativ für ihre Gruppen zu gelten haben. Diese Gruppen sind nach ihrer religiösen, politischen, familialen, standes- und altersmäßigen Zugehörigkeit ins Auge zu fassen.
Dabei ist die Durchdringung der Milieus durch Volksbildner, die nicht von außen, sondern von innen her darauf einwirken, als Ziel anzustreben. Wir verlieren das zu gerne aus dem Auge, weil wir uns leichter mit bequemeren Lösungen begnügen; wir sind gewohnt, Lehrer, Geistliche und andere irgendwie "vorgebildete Leute", die bequemer zu handhaben sind, heranzu [S. 66]ziehen. Dies sagt nichts gegen die besondere Aufgabe, die der pädagogisch Vorbereitete und Geschulte in diesem Bildungssystem haben wird und einnehmen soll. Er soll aber seine Rolle so betrachten, daß er aus dem unmittelbaren Kontakt mit den Problemen und aus einer verständnisvollen Einfühlung in das den einzelnen Mitarbeitern Zumutbare einen Weg findet, diese so weit heranzubilden, daß sie in relativ selbständiger Arbeit eine Funktion bildnerischen Charakters in ihrem Milieu zu leisten imstande sind. Es bedarf also des Blicks für die gesellschaftlichen Gegebenheiten, zugleich einer pädagogischen Einstellung auf den Menschen, um die ins Auge gefaßte Aufgabe erfüllen zu können. Die Ausbildung der Bildner muß also ein zentraler Gegenstand unserer Bemühungen sein21.
Die heranzuziehenden Kräfte können sich aus dem Priester-, Lehrer-, Akademikerstand, aus den Sozialberufen, aus den im Genossenschaftswesen Tätigen, aus Absolventen der landwirtschaftlichen Mittelschulen und der Landwirtschaftsschulen, der Gewerbeschulen und der gewerblichen Berufsschulen, der Bildungsheime etc. rekrutieren. Der Bereich der Erwachsenenbildner sollte aber auch Menschen, die sich im politischen, beruflichen, sozialen oder kulturellen Leben praktisch bewährt haben, ausdrücklich umfassen. Eine besondere Aufmerksamkeit ist den aus den Jugendorganisationen Emporgewachsenen zu widmen; sie haben oft ungezählte Schulungstagungen mitgemacht, haben dann aber mit dem Austritt aus ihrer Jugendgruppe und dem Eintritt ins berufliche und eigenständig familiale Leben die Beziehung zu dem Bildungsvorgang verloren, der eine éducation permanente sein sollte. Was sich aus der gesammelten Lebenserfahrung, aus dem erworbenen Wissen und Können, aus der beruflichen und familialen Bewährung ergibt, genügt nicht. Die soziale Bewährung reicht weiter.
Die Entfaltung der einzelnen Individuen und Gruppen vollzieht sich in der Entwicklung ihres Selbstverständnisses, in der Bewältigung der eigenen Sozialfunktion und in der Fähigkeit, diese Funktion als Funktion im gesellschaftlichen Ganzen zu sehen und zu vertreten22. Dazu ist aber nötig, die [S. 67] der geistigen Durchdringung der ihm aufgegebenen Probleme liegt die letzte Wurzel und Quelle, aus der heraus die eigentlich menschliche Bewältigung des Lebens vollbracht wird. Der Funktionär, der Manager bewältigt seine Sozialfunktion nur, insofern er fähig ist, sie in ihrem gesamtmenschlichen Zusammenhang voll zu erfassen und zu vollziehen.
/In Montreal wurde ebenfalls der soziale Bezug der Erwachsenenbildung herausgestellt: "Sie muß dem Erwachsenen helfen, die Natur der verschiedenen Gemeinschaften, denen er angehört, zu verstehen. Sie muß ihm die Pflichten und Verantwortlichkeiten, aber auch die Rechte aufzeigen, die mit der Mitgliedschaft zu einer von ihnen verbunden sind. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine Frage der Information; ebenso und noch wichtiger ist es, das Gefühl für Kooperation sowohl innerhalb der Gemeinschaften wie auch zwischen ihnen, zu wecken (...) Wir alle können eine Menge voneinander lernen, und manches der existierenden Vorurteile und Mißverständnisse ist lediglich auf Ignoranz zurückzuführen"23./
Damit kennen wir bereits den Weg, der bei uns noch nicht genügend klar gesehen und voll beschritten wird. Hier besteht noch ein unermeßliches und immer neu zu eroberndes Aufgabengebiet der Volksbildung auf dem Lande. Sie wird die bestehenden Einrichtungen auf lokaler und regionaler [S. 68] Ebene - das Bildungswerk, die Volkshochschule, die konfessionellen Bildungswerke, die Büchereien, die Heimatpflege, die Volksbildungsheime - in die Planung mit einbeziehen müssen. Sie wird die Abiturienten- und Absolventenvereine der Mittel- und Berufsschulen, die Jugendvereine, die Katholische Landjugend, die Gewerkschaftsjugend etc. ins Auge fassen müssen. Ein heute neu zu gewinnender Begriff der Heimat - ein Zentralbegriff der Arbeit der Bildungswerke - als eine "dem Menschen jeweils konkret vorgegebene, von der Vorsehung gefügte, überschaubare, als landschaftliche und menschliche Umwelt vertraute, sein Geschick mitbestimmende (...) Region, in der er geboren wurde, oder sich eingewurzelt hat, in der er sich geborgen, ,beheimatet´ weiß", sollte zur zentralen Bildungsidee unserer Einrichtungen werden. Pädagogik wie Tiefenpsychologie haben die "unersetzliche Bedeutung eines Geborgenheitsraumes" erkannt, "dessen jeder Mensch zu seiner Entfaltung bedarf, von den ersten Tagen der Kindheit an, im Intimbereich der Familie, wie in den Gemeinschaften der Nachbarschaft, der Schule, der Pfarre, der Gemeinde, des Berufes, der geselligen Vereinigungen, in die er allmählich hineinwächst"24. Aus diesem Geborgenheitsraum aber erwächst die Forderung, die konkreten mitmenschlichen Verantwortungen wahrzunehmen und zu erfüllen.
So wichtig jedoch diese Erziehung zu unmittelbarer Verantwortlichkeit im überschaubaren Milieu, das die Heimat in ihren vielfältigen menschlichen Beziehungen und Wertbezügen darstellt, für die Entfaltung der menschlichen Person wie auch für die Bildung echter und zum Teil neu zu konzipierender Gemeinschaften ist, so genügt doch dieser Umblick im überschaubaren Raum nicht. Die Probleme sind zu komplex geworden, und es muß daher diese lokal oder regional bezogene Bildungsarbeit immer wieder ergänzt und vervollständigt werden durch Beziehung zu zentraleren Stellen. Wo der im begrenzten Umkreis Wirkende an die Grenzen seiner Kenntnisse oder seiner Befugnisse stößt, müßten Experten herangezogen werden, die den Blick auf größere Zusammenhänge und Ordnungsbeziehungen öffnen. Es muß also die subsidiäre Funktion der Zentralstellen des Landes und eventuell des Bundes wirksam werden, damit die Probleme, sofern sie über den "Umblick" der örtlichen Kräfte hinausgehen, mit ihrer Hilfe gelöst werden können.
Jede Bildungsarbeit muß richtig und stark genug motiviert sein. Wir finden die Motive im menschlichen Streben nach Selbstvervollkommnung, in ihrem gesellschaftlichen Ziel, nämlich in der Re-Integration der Kräfte, die zum Teil auseinander streben, zum Teil sich noch nicht gefunden haben, und im Ernst der Zeitsituation, die gebieterisch nach diesem Zusammenwirken verlangt. Diese Arbeit wird dann fruchtbar werden, wenn der im Ort zentral Verantwortliche dort anknüpft, wo der einzelne steht, wo seine Stärke ist, wo er einen positiven Beitrag zu bringen imstande ist, der ihn zur Weiterarbeit ermutigt, und wenn er diesen einzelnen selbstlos und klug führt. Die Schwierigkeiten, die einer solchen Tätigkeit entgegenstehen, die Gefahren, denen sie ausgesetzt ist, liegen nicht allein im Pluralismus weltanschaulicher, politischer und religiöser Natur, sondern auch in dem oft durch Zwistigkeiten und Feindschaften getrübten und vergifteten Raum der überschaubaren Gemeinden. Sie liegen also nicht nur in der Vielfalt, sondern in der Widersprüchlichkeit des Denkens und Verhaltens, in menschlichen Schwächen, die im Gestrüpp ungeordneter, zum Teil unbewußter Gefühlsregungen nisten - Sympathie und Antipathie spielen da oft eine günstige oder unheilvolle Rolle. [S. 69]
Durch diese Zerrformen von Unbildung oder mangelhafter Bildung wird die Arbeit vieler guter und williger Kräfte oft gegenseitig gehemmt und gelähmt. Das Ergebnis ist dann Resignation, Verbitterung, Sich-Abschließen, Flucht, die "innere Emigration" aus dem Raum, der gerade dadurch aufhört, Heimat zu sein. Es bedarf also eines Bildungsbemühens, das immer wieder den gemeinsamen Boden schafft, ausgleicht, sich dabei elastisch den Gegebenheiten anpaßt, und menschliche Begegnungen und Gespräche, die schließlich in Vereinbarungen und gemeinsamen Handlungen münden, zustande bringt.
Wenn auch die Gesinnung und Haltung dabei das Ausschlaggebende sein wird, so müssen wir uns doch auch jener modernen Methoden bedienen, die dabei mit Nutzen angewendet werden können, während eine Unkenntnis oder eine Ungeschicklichkeit in der Anwendung von Methoden oft auch bei bester Gesinnung und bestem Willen Mißerfolge herbeiführt. Die Methode, die dabei anzuwenden ist, wird induktiver Natur sein müssen: sie wird ausgehen von einer ständig erneuerten Bemühung, die konkrete Milieusituation allmählich in allen Aspekten, die sie dem in ihr Stehenden und in ihr Beheimateten darbietet, zu erfassen. Die Vorbereitung dessen, was in der uns geläufigen Form der Bildungstätigkeit geschieht - alles "Veranstaltens" - muß selbst als der primäre Bildungsvorgang betrachtet werden. Bildung, Volksbildung vollzieht sich nicht nur dann, wenn primitivere, bildungs- und wissensmäßig Unbewanderte als Ziele des bildnerischen Angriffs ins Auge gefaßt werden; vielmehr überall dort geschieht Volksbildung, wo sich Menschen des Volkes, aus welchen gesellschaftlichen Schichte immer, um die Bewältigung ihrer Lebensprobleme bemühen. Jeder bedarf der Bildung. Niemand ist gebildet genug, um die täglich neu auf ihn zukommenden Probleme vollkommen zu bewältigen. Leben und Bildung stehen in einem gegenseitigen Bezug und das Leben in seiner geistigen Sinngebung hört auf Leben zu sein, wenn es nicht Ziel, Richtung und Antrieb bildnerischen Bemühens ist.
Ein solches Mitgestalten der gesellschaftlichen Verhältnisse erfordert entsprechende Methoden, wie sie etwa im entraînement mental in Frankreich entwickelt wurden: im Weg über genaueres Kennen- und Unterscheidenlernen der vorgegebenen Wirklichkeit in ihrer strukturierten Schichtung über das Verstehen der den gesellschaftlichen Vorgängen zugrundeliegenden Motivationen und Gesetzlichkeiten zum Vollzug von überlegend vorbereiteten, aktiv durchgeführten und reflexiv überdachten Handlungen zu gelangen25.
Was den Bildungswerken aufgetragen ist, reicht also nicht nur über das Darstellen deduktiver Erkenntnisse in systematischer Form hinaus, sondern auch über das theoretische Erkennen überhaupt. Ihr Anliegen wird immer als Konfrontation mit dem Milieu und als Aufgabe an dem Milieu begriffen werden müssen. Die Tätigkeiten der Bildungswerke erschöpfen sich nicht in der rein intellektuellen Sphäre des Erkennens und Urteilens. Sie richten sich vielmehr auf einen überschaubaren Bezirk des Lebens, auf den Anregungen und Antriebe auszugehen haben, für deren Verwirklichung nicht das Bildungswerk, sondern die dafür primär zuständigen gesellschaftlichen Gruppen verantwortlich sind. Die Bildungswerke stehen damit in einer dialogischen Situation mit dem gesellschaftlichen Leben ihres Bereichs, an dessen geistiger Durchleuchtung und humaner Ordnung sie einen wesentlichen Anteil haben. [S. 70]
Anmerkungen:
1 Dies gilt allerdings nur für unsere entwickelten Gesellschaftssysteme, nicht für die auf dem Weg der Entwicklung befindlichen Länder.
2 Wie etwa in Indien, Pakistan, Japan, auf den Philippinen etc.
3 In der Resolution der I. Kommission der II. UNESCO-Weltkonferenz über Erwachsenenbildung in Montreal 1960 wurde der Wert der "traditionellen Formen des Brauchtums" unterstrichen und das "rasche Verschwinden dieser traditionellen Formen in Gemeinschaften..." bedauert, "die bis vor kurzem noch als sehr stolz auf ihr kulturelles Erbe galten" (Bericht, herausgegeben vom Deutschen Volkshochschulverband, S. 19).
4 "Die Erziehung muß als ein fortlaufender Prozeß angesehen werden" (XII. Tagung für europäische Studien des Europarates in Straßburg 1962). Die Arbeitsgruppe 1 der Studientagung des Europarates in Straßburg unterstrich "die Notwendigkeit, die Erwachsenenbildung in das allgemeine System der ständigen Erziehung einzubauen..." (Dokument 20).
Vgl. dazu auch K. G. Fischer in seinen "Überlegungen zu einer Theorie der Erwachsenenbildung": "Wie der Mensch vom Tage seiner Geburt bis zu seiner letzten Stunde nur eine unaufhebbare Einheit des einmaligen Personseins ist, so kann Bildung nur eine in Ansehung des vereinzelten Menschen wie der Menschheit sein ... kann die aus der Einheit des individuellen Menschseins notwendig folgende Einheit aller Unternehmungen der Menschenbildung gar nicht verlorengehen, und allein aus dem präsenten Bewußtsein dieser Ganzheit wird sich segensreiche Bildungsarbeit vollbringen lassen" (In: Zur Geschichte und Theorie der Volksbildung, Linz 1961).
5 II. UNESCO-Weltkonferenz über Erwachsenenbildung in Montreal (Kanada), "Erwachsenenbildung in einer sich wandelnden Welt" 21.-31. August 1960. Die 1. Weltkonferenz über Erwachsenenbildung, die 1949 in Helsingör (Dänemark) stattfand und an der eine noch relativ kleine Zahl von Delegierten teilnahm, war noch von der Situation der Nachkriegsjahre bestimmt.
6 Auf den großen internationalen Konferenzen für Erwachsenenbildung wurden diese ungeheuren Veränderungen in ihrer Relevanz für die Erwachsenenbildung genannt. Vgl. dazu etwa den Bericht von der II. UNESCO-Weltkonferenz über Erwachsenenbildung in Montreal, S. 10, und von der Europäischen Erwachsenenbildungs-Konferenz in Hamburg 1962, S. 19f. und S. 24.
7 Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, Stuttgart 1960, S. 29.
8 Bericht über die 11. Tiroler Dorftagung 1962, S. 55.
9 Deklaration der II. UNESCO-Weltkonferenz über Erwachsenenbildung in Montreal, 1960, Bericht S. 9.
10 K. G Fischer, Wo steht die Erwachsenenbildung heute, Weinheim 1956, S. 84.
11 K.G.Fischer, a.a.O., S. 81. Vgl. dazu auch K. G. Fischer, a.a.0., S. 71. "Die großen Themen der Menschenbildung in der modernen Welt bleiben: Ordnung der Beziehungen von Mensch und Welt in unserer Wirklichkeit, und Ordnung der Beziehungen von Mensch zu Mensch angesichts dieser unserer Wirklichkeit (...) Der eines ihm gemäßen Standortbewußtseins ermangelnde Mensch unserer Zeit ist zugleich der Bezugstiftung zum Du und zur Welt unfähig. Er nimmt hin, verarbeitet nicht, gestaltet nicht, gibt mithin sein Selbstsein preis, sei es an die Konvention, an den Apparat, an die Macht. Er neigt zur Flucht vor der Vielfalt der in Weltordnung und Ichordnung beschlossenen Aufgaben in Betriebsamkeit und Unterhaltung, die ihn vom Aufgegebenen abzubringen vermögen. Standortbewußtsein in einem pädagogischen Sinne allerdings kann der moderne Mensch nicht durch Vermittlung, durch Darbietung von unverbindlichen Bewußtheiten, von ich-gleichgültigen Wissensbeständen gewinnen, sondern nur in der Bezugsetzung von Ich und Welt, von Ich und Du, die sich des Mitseins des Ich ausdrücklich bewußt, also immer neu vergewissert."
12 Lexikon der Pädagogik, Freiburg 1960, Stichwort "Bildung".
13 Eduard Seifert, Volkshochschule und Bildungswerk in Salzburg. In: Neue Volksbildung, 1959, H. 10, S. 361.
14 "Unsere Erwachsenenbildung muß mehr als bisher darum bemüht sein, eine Integration anzustreben, die bewußt zum Ausdruck bringt, daß ihre Bildungsarbeit immer im Dienste des Menschen in seinen Verhältnissen ist" (K. G. Fischer, Das Dorf als Gesellschaftswesen und Bildungsort. In: Zur Geschichte und Theorie der Volksbildung, Linz 1961, S. 69).
15 "Bildung muß also von der Lage und den Umständen der Menschen ausgehen, an die sie sich wenden soll, muß schließlich darein auch wieder münden. Das setzt voraus, daß die sozialen, ökonomischen, kulturellen und geschichtlich gewordenen Realverhältnisse unserer Mitmenschen jeweils konkret begriffen sind. Je weiter wir uns von konkreten Vorstellungen entfernen, desto oberflächlicher, desto weniger bildungswirksam wird unser Tun sein, weil das derart zustande kommende ,Bild' vom Menschen umso allgemeiner und formaler, also inhaltsleerer, wird. Die Rede vom Menschen des 20. Jahrhunderts' ist nichtssagend, wie auch der bloße Begriff des bäuerlichen Menschen', womöglich abgezogen aus der Literatur der ländlichen Idyllik des vergangenen Jahrhunderts, den außerordentlich unterschiedlichen Umständen der Bauern heute gar nicht gerecht zu werden vermag" (X. G. Fischer, Die Sozialwissenschaften und die Volksbildung, Graz 1957, S. 44).
16 "Die Erwachsenenbildung muß versuchen, die Isolierung unterschiedlicher Gruppen zu überwinden; und zwar dadurch, daß diese Gruppen dazu ermuntert werden, gleichzeitig zu geben, wenn sie etwas erhalten" (Empfehlungen der XII. Tagung für europäische Studien des Europarates in Straßburg 1962).
17 Viktor von Geramb, Um Österreichs Volkskultur, Salzburg 1946, S. 122.
18 XII. Tagung für europäische Studien des Europarates in Straßburg, Dokument 16.
19 "Technische, ökonomische und soziale Planung und Maßnahmen ebenso wie vorfindliche und feststellbare Realität stellen den Menschen in Verhältnisse. Daß er sich in ihnen zurechtfinde, daß er in seinen Verhältnissen sein Leben führe, macht den Anspruch der Menschenwürde aus. Ihn dazu zu befähigen ist Bildung bestimmt, im Laufe der geschichtlichen Entwicklung ausdifferenziert und institutionalisiert worden" (K. G. Fischer, Zur Geschichte und Theorie der Volksbildung, Linz 1961, S. 69).
20 Unterlage zur Europäischen Erwachsenenbildungs-Konferenz in Hamburg 1962, S.4.
21 "Alle Erwachsenenbildner sollten eine geeignete Ausbildung für ihre Tätigkeit in der Erwachsenenbildung erhalten (...) Die Ausbildung von Angehörigen der der Erwachsenenbildung benachbarten Berufe (Lehrer, Fürsorger, Personalreferenten usw.) sollte eine Orientierung über Fragen der Erwachsenenbildung einschließen" (Resolution der Europäischen Erwachsenenbildungs-Konferenz in Hamburg 1962, Bericht, herausgegeben von der Deutschen UNESCO Kommission, S. 8). Frankreich bereitet derzeit die Schaffung eines Dekrets vor, eines staatlichen Diploms für Erwachsenenbildung, das der Ausbildung der Erwachsenenbildner einen offiziellen Charakter verleihen soll. Ein nationales Zentrum der Volksbildung, das für das Diplom vorbereitet, wird zu diesem Zweck geschaffen werden. Die Ausbildung soll drei Jahre beanspruchen. Noch vor Ende des Jahres 1964 sollen diese Kurse beginnen und ab 1965 bereits Prüfungen abgehalten werden.
22 So sieht Knowles als die wesentlichen Probleme unserer Zeit die des menschlichen Verhaltens an und er weist auf folgende Forderungen hin, vor die Entwicklung des eigenen Menschseins in der religiösen, kulturellen, sozialen, in der sittlichen und intellektuellen Dimension zu erfassen und den Blick zu weiten, um die größeren Zusammenhänge wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und kultureller Natur zu erfassen. Die Sozialfunktion des einzelnen in irgendeiner - wenn auch wirtschaftlicher - Hinsicht kann nur dann voll erfüllt werden, wenn sie in der Ganzheit des Seinsbezugs und des Personalbezugs erfaßt wird. In der Intensität der Wertbezogenheit, in der inneren Freiheit der Persönlichkeit, in seiner Entschlußfähigkeit, in der Kraft die Erwachsenenbildung in Verfolgung dieser Aufgabe gestellt ist: "Erwachsene sollen zu einem reifen Verständnis ihrer selbst kommen ... Erwachsene sollen anderen Menschen gegenüber die Einstellung der Bejahung, Zuneigung und Achtung ent-wickeln ... Erwachsene sollen eine dynamische Haltung dem Leben gegenüber ent-wickeln. Sie sollen die Tatsache des Wandels anerkennen und sich selbst immer als im Wandel begriffen betrachten ... Erwachsene sollen lernen, auf die Ursachen und nicht auf die äußeren Symptome menschlichen Verhaltens zu reagieren ... Erwachsene sollen die Technik erlernen, Kräfte und Möglichkeiten, die in ihrer Persönlichkeit liegen, zu entwickeln ... Erwachsene sollen die wesentlichen Werte aus dem Schatz menschlicher Erfahrung begreifen lernen (...) Sie sollen die Werte, die Menschen miteinander verbinden, verstehen und auch soziale Umschichtungen lenken können..." (Knowles/Husén: Erwachsene lernen, Stuttgart, 1963, S. 23 ff.).
Ähnlich Husén: "Von unserer Bildungsarbeit verlangen wir, sie solle den einzelnen Menschen toleranter machen, ihm einen stärkeren Glauben an den Eigenwert des Menschen geben und ihn bereit machen, alle Menschen sowohl an materiellen als auch an geistigen Gütern Anteil nehmen lassen. Man spricht von Reife. Wir meinen damit die Fähigkeit, diejenigen Aufgaben zu lösen, die in einer bestimmten Gesellschaft dem einzelnen in seiner Eigenschaft als Berufstätiger, als Mitglied einer Kulturgemeinschaft und als Mitbürger des Gemeinwesens in ständiger Berührung mit anderen Menschen, in der Familie, im Vereinsleben und am Arbeitsplatz, gestellt werden. Der Bildungsarbeit muß es um das Ziel gehen, den einzelnen Menschen in immer stärkerem Maße zu befähigen, diese Aufgaben zu lösen, mit anderen Worten, seinen Reifungsprozeß zu fördern. Dieses Ziel wechselt nach den jeweiligen Forderungen, welche verschiedene Milieus, Zeitalter und Kulturformen stellen (Knowles/Husén, a.a.0., S. 150 f.).
"Wenn der Mensch nicht das Opfer der modernen Gesellschaft, sondern ihr Bürger werden will, so muß er sich das Verständnis seiner selbst und der Welt, in der er lebt, in einer ständigen Bemühung erschließen. Ob ihm das gelingt, ob er in diesem Sinne ,gebildet´ ist, davon hängt sein eigener Wert ab; ob es genügend vielen Menschen in genügendem Maße gelingt, davon hängen die demokratische Lebensform und die menschliche Zukunft ab" (Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, Stuttgart 1960).
23 Bericht von der II. UNESCO-Weltkonferenz über Erwachsenenbildung in Montreal 1960, S. 12.
24 Eduard Seifert, Entwicklung und Probleme der österreichischen Erwachsenenbildung. In: Grundfragen christlicher Erwachsenenbildung, Klagenfurt o.J., S. 55.
25 Eduard Seifert, Das kritische Denken in der katholischen Erwachsenenbildung. In: Erwachsenenbildung, 1963, H. 3, S. 113ff., besonders S. 120, und Jean le Veugle, Erwachsenenbildung in Marokko. Deutsch in der Schriftenreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung, Hannover 1961, S. 66f.
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